Die Geschichte der Fabrikantenfamilie Ringwald aus Emmendingen

Das Buch von Dr. Dieter Wörner über die Fabrikantenfamilie Ringwald und die Adelsfamilie Roeder von Diersburg ist ein wunderbares Porträt der Eliten im Grossherzogtum Baden. Eine direkte Verbindung führt zu Christian Ringwald, dem Namensgeber der Florettspinnerei Ringwald im Niederschönthal. 

1620 startet die Reise, auf die Dieter Wörner den Leser mitnimmt. In diesem Jahr kam Georg Ringwald zur Welt, ein Kriegsflüchtling aus dem vorderösterreichischen Elztal, der in das benachbarte Freiamt (in der Nähe von Freiburg im Breisgau) gelangte. Als Lehensnehmer eines Bauernhofes des benachbarten Klosters Tennenbach integrierte er sich schnell und bahnte seiner Familie den steinigen Weg nach oben.Die Nachfahren wurden erfolgreiche Müller, Bäcker und Gastwirte. Ausserdem ging ein Ortsvogt (im Grünen Baum in Keppenach) aus ihren Reihen hervor. Fünf Generationen später war die Familie in der städtischen Honoratiorenschaft von Emmendingen und später Basel angekommen. Gerade unter dem Aspekt des sozialen Aufstiegs einer ganzen Unternehmerfamilie ist das Buch von Wörner viel mehr als eine Familienchronik. Weit entfaltet sich vor den Augen des Lesers die ganze Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Grossherzogtums bzw. der Markgrafschaft Baden, wobei klar wird, wie eng dieser Raum mit der Schweizer Nachbarschaft verzahnt war… und natürlich immer noch ist.


Eindrückliche Einsicht am Rande dieser Lektüre: In Zeiten, in denen noch niemand von einem geeinten Europa sprach und auch ein institutionelles oder juristisches Gerüst fehlte, war in der bürgerlichen Welt doch eine länderübergreifende Zusammenarbeit selbstverständlich praktizierter Alltag.


Doch springen wir zurück zur Ringwald-Geschichte, genauer zum Weiherschloss von Emmendingen. Im Jahr 1812 kaufte ein Abkömmling des obigen Georg Ringwald dieses überaus stattliche Anwesen. Mit dem Schloss konnte er den erworbenen Status als Bürger und Kaufmann bestens gegen Aussen darstellen… und natürlich in der Familie weitergeben. So übernahm sein Sohn Johannes Ringwald das Weiherschloss. Zwei von dessen Söhnen wiederum erblickten das Licht der Welt just in diesem Gebäude. Die Namen der beiden: Carl August und Christian Ringwald. Es waren zwei von insgesamt fünf Geschwistern, denen im Buch von Dieter Wörner viel Raum gegeben wird, was gerade aus einer Schweizer Optik besonders interessant ist, wie wir gleich sehen werden.


Beginnen wir mit Carl August Ringwald. Alles hätte (womöglich) für ein eher beschauliches, stets etabliertes, gut bürgerliches Leben gesprochen, wäre da nicht die Badische Revolution in die Quere gekommen. Carl August Ringwald engagierte sich für die freiheitliche Neuordnung in einem einheitlichen deutschen Staat. 1849 übernahm er (als Hauptmann) sogar das Kommando der Emmendinger Bürgerwehr, die er innerhalb eines Verbandes von zirka 10 000 badischen Freischärlern in ein Gefecht gegen die anrückenden preussischen Truppen führte. Dabei soll seine Bürgerwehr die Gewehre allerdings nur in die Luft abgefeuert haben.


Dennoch war sein Engagement folgenschwer genug, so dass sich Carl August Ringwald ins Schweizer Exil absetzen musste. Hier kommt sein älterer Bruder ins Spiel, also Christian Ringwald. Dieser hatte nämlich im Schönthal in der Nähe des Schweizer Städtchens Liestal eine Spinnerei von seinem Schwiegervater übernommen. Zumindest zeitweise weilte der politische Flüchtling Carl August bei seinem Bruder. Später verschlug es ihn in den Schweizer Jura, wie viele Revolutionäre, noch später für mehrere Jahre ins Elsass. Vielleicht nicht ganz zufällig ist sein Versuch zu sehen, ausgerechnet in La Chaux-de-Fonds Wurzeln zu schlagen. Denn in dieser Region hatte es ja ein Jahr vorher einen erfolgreichen Versuch gegeben, die preußische Herrschaft abzuschütteln.


Natürlich erwartete Carl August Ringwald in Baden nach dem Scheitern der Revolution eine durchaus saftige Strafe. Seine Schwester Luise warnte ihn in einem Brief: „Ja nicht zurückkommen, sonst harte Busse für dich“, wobei „Busse“ bestimmt nicht als Geldstrafe zu lesen ist. Im juristischen Sinne erwartete Carl August Ringwald eine mehrjährige Zuchthausstrafe und der Einzug seines gesamten Vermögens.


Allerdings zirkulierte in den Adern der Ringwald-Familie stets mehr das Blut von Unternehmern als jenes von Revolutionären. In seinem Schweizer Exil knüpfte Carl August an seine vorherigen Handelskontakte an, wobei er Bahnschwellen aus Südbaden in die Schweiz geliefert hatte, wo man sie für den Bau der Nordbahn (von Zürich ausgehend) benötigte. Ausserdem reichte er am 18. August 1849 eine Verteidigungsschrift an das Oberamt in Emmendingen ein, in der er von seinen revolutionären Handlungen abrückte.


Dieter Wörner schätzt die Sache in seinem Buch so ein: „Es besteht kein Zweifel, dass der junge Ringwald in den 1840er Jahren Anhänger der liberalen Ideen des bürgerlichen Aufbruchs gegen den verkrusteten, aristokratischen Staat war. Die der Revolution aufgezwungene Gewaltanwendung (er) scheint bei ihm Zweifel am Weg des Aufstandes geschürt zu haben, zumindest distanzierte er sich.“ (S. 56) „Damit steht Carl August Ringwald repräsentativ für den Weg des deutschen Bürgertums, das seine Freiheitsideale aus der ersten Hälfte des 19. Jh. nach der Niederlage der 48/49er Revolution schnell zugunsten der realen Machtverhältnisse, des wirtschaftlichen Erfolgs und der (später errichteten) Nationsbildung mit der Herrschaft der alten Dynastien aufgab.“ (S. 57)
Ab 1850 liess sich Carl August Ringwald im Elsass nieder, wo er immer mehr Fuss als Tabakhändler fasste. Doch holte ihn seine revolutionäre Vergangenheit ein. 1854 wollte er im bayrischen Speyer einen grösseren Tabakkauf tätigen, als er verhaftet und an die badische Justiz ausgeliefert wurde. Diese verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe, wobei der reuige Sünder eine Strafmilderung erwirken konnte, so dass er nur wenige Monate effektiv einsass.


Das war auch gut so. Denn sonst wäre der Region ein talentierter Unternehmer verloren gegangen, was sich rasch zeigte. 1857 gründete der Ex-Häftling eine Tabakfabrikation für Rohtabak in Emmendingen, die bereits 1866 um die 100 Leute beschäftigte und unter seinem Namen bekannt wurde als: C.A. Ringwald. Zu Beginn war das Weiherschloss gleichzeitig sein Firmengebäude, später kamen Gebäude an anderen Standorten dazu.


Rohtabak bedeutete, dass die C.A. Ringwald den in der Region grossflächig angebauten Tabak aufbereitete und an Fabrikanten verkaufte, die daraus Raucherwaren machten. Ringwald lieferte also ein Zwischenprodukt. Vermutlich wollte er aber die ganze Produktionskette bewirtschaften, so dass er 1866 die Denzlinger Zigarrenfabrik aufbaute. Damit war er in Emmendingen in bester Gesellschaft. 18 Zigarrenfabrikanten gab es dort, die einen überaus wichtigen Wirtschaftszweig darstellten.


Mehr noch: Er beteiligte sich sogar am Kohlenabbau in der Ortenau, was den Leser bekannt macht mit der fast vergessenen Tatsache, dass es am oberen Rhein bis in die junge Vergangenheit förderwürdige Kohlevorkommen gab. 1873 gründete er die Steinkohlegrube Ringwald & Cie., die in Berghaupten südlich von Offenburg aktiv war. 50 Mitarbeiter schufteten damals in der Grube.


Allerdings blieben die Zigarrenfabrik und der Kohleabbau eher Episoden im Leben von Carl August Ringwald. 1911 wurde die Kohleförderung aufgegeben, weil die Grube erschöpft war. Und bereits 1881 stieg er aus der Zigarrenfertigung aus. Was aber über fünf Generationen blieb, war eindeutig die Rohtabakfabrikation.
Als Carl August Ringwald 1877 mit lediglich 58 Jahren an einem Herzschlag starb, übernahm sein einziger Sohn Carl Johann Ringwald den Betrieb… und baute ihn zu einem der grössten Tabakhändler im Kaiserreich aus, wenngleich er sich örtlich etwas von den Wurzeln entfernte. Denn 1884 verkaufte er dem Staat das Weiherschloss, wo heute die Berufsschule für Pflege untergebracht ist. Nebst dem Weiherschloss verkaufte er noch ein größeres landwirtschaftliches Gelände. Auf diesem wuchs die bedeutende großherzogliche psychiatrische Heil- und Pflegeanstalt heran, die heute nach wie vor als modernes Zentrum für Psychiatrie des Landes Baden-Württemberg besteht.


Ein weiterer Aspekt der Familiensaga eröffnete sich deutlich, als Carl Johann Ringwald 1886 Rosina Valeria Goppelsroeder heiratete, nämlich die familiäre Verbandlung mit besten Basler Familien. Die Wahl auf diese Braut fiel bestimmt nicht nur aus Gründen, die dem Herzen entsprangen, dies vielleicht auch, gewichtiger war wohl die Tatsache, dass sie die Tochter des berühmten Chemieprofessors Friedrich Goppelsroeder war. Dessen Frau wiederum war Rosina La Roche. Jedem Leser, der Basel ein wenig kennt, dürfte sofort klar sein, um welch hochkarätige Liaison es sich gehandelt hat.


Bis zum 1. Weltkrieg hatte die Tabakfabrikation rund 60 Angestellte, wobei der Bestand zu Erntezeiten auf bis zu 120 anstieg. Insofern betrieb Carl Johann also die erfolgreiche Unternehmensführung seines Vaters weiter. Ebenfalls wie sein Vater engagierte er sich im sozialen und politischen Leben. Er war national-liberal, ein Verehrer von Bismarck. Wenngleich er dem Kaiser Wilhelm II durchaus loyal gesinnt blieb, so stand ihm der eiserne Kanzler doch näher. Von Ringwalds überschwänglichen nationalen Engagement zeugte noch viele Jahre eine von ihm mitinitiierte Bismarck-Statue in Emmendingen, die jedoch später entfernt wurde.

 

Später zeigte er Mut, als die Nazis immer mehr aufstiegen. 1933, damals immerhin schon 71 Jahre alt, bezog er in einem Brief an die Handelskammer Freiburg Position für die Juden in der Tabakfabrikation. Dieter Wörner schätzt dies in seinem Buch so ein: „Ob dies für eine offene Ablehnung der nationalsozialistischen Ideologie und Herrschaft durch Carl Johann Ringwald generell steht oder primär die brutalen Methoden der SA-Schergen beim Boykott jüdischer Geschäfte geisselt, muss offenbleiben. In jedem Fall zeigt sein mutiges Auftreten eine Haltung, die in dieser Zeit bei wenigen aus der grossbürgerlichen Schicht zu finden war.“ (S. 74)


Carl Johann Ringwald musste den Nazi-Spuk nicht mehr bis zum bitteren Ende ertragen. Er starb am 5. März 1934. Sein ältester Sohn Carl Friedrich Ringwald kam an die Spitze der Firma. Dieser heiratete wiederum in die Schweiz und wiederum eine Braut aus grossbürgerlichem Milieu, namentlich May Cecilie Iselin, die er in Bern an den Traualtar führte.


Bekannt ist, dass während der Kriegszeit französische Kriegsgefangene bei der C.A. Ringwald eingesetzt wurden, auch 1000 Fremdarbeiterinnen standen in der Produktion. Auf jeden Fall: Die Firma hat den Weltkrieg überlebt, durchaus nicht gross beschadet, wie es scheint. 1952 wurde der Hauptsitz nach Schifferstadt verlegt. 180 bis saisonal 350 Mitarbeiter zählte der Betrieb damals. 1956 starb Carl Friedrlich Ringwald in Freiburg.


Die Firma blieb in Familienhand. Aber das Schicksal schwenkte langsam auf Abstieg ein. 1970 wurde die Produktion in Emmendingen eingestellt. Noch immer hielt sich zwar die Firma und zählte 1983 zirka 200 Angestellte. Die Schliessung kam aber 1995. Man musste nach 150 Jahren vor der zunehmend billigen ausländischen Konkurrenz kapitulieren, wie so viele bodenständige Branchen.


Für Leser, die an der spezifisch deutschen Entwicklung interessiert sind, soll dies noch hervorgehoben werden: Der im Zentrum stehenden bürgerlichen Ringwald-Geschichte stellt das Buch von Dieter Wörner eine Adels-Familie gegenüber, die Familie Roeder von Diersburg, die aus dem badischen Uradel stammt. Damit wird aus dem Vergleich zweier Fallbeispiele aus der bürgerlichen Honoratiorenschaft sowie dem staatstragenden Adel ein Sittengemälde der beiden Eliten in den Staaten des Deutschen Bundes sowie des Kaiserreiches im 19. Jahrhundert.


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  • Im Buchhandel
  • Die Emmendinger Fabrikantenfamilie Ringwald und die badische Adelsfamilie Roeder von Diersburg
  • Autor: Dr. Dieter Wörner
  • ISBN 978-3-95505-438-0
  • Verlag Regionalkultur
  • 133 Seiten
  • Viele, auch farbige Bilder
Ehemalige Gaststätte Grüner Baum in Keppenbach.
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Das Weiherschloss auf dem Gelände des heutigen Zentrums für Psychiatrie in Emmendingen.
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Brief (19.9.1849) von Carl August Ringwald aus seinem Exil in La Chaux-de-Fonds.
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Carl August Ringwald.
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Carl Johann Ringwald.
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Christian Ringwald, Namensgeber und Inhaber der Florettspinnerei Ringwald im Niederschönthal / Füllinsdorf.
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Tabakfabrik der Familie Ringwald in Emmendingen.
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Heutige Berufsschule für Pflege im Landkreis Emmendingen im ehemaligen Weiherschloss der Familie Ringwald.
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Bergwerk Berghaupten (Ortenau) um 1900.
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Die restaurierte Ringwaldvilla in Emmendingen.
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Hochzeitsgesellschaft mit dem Brautpaar Margarete Ringwald und Jakob Bader.
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Briefkopf der Firma C.A. Ringwald mit den beiden Standorten Schifferstadt (l.) und Emmendingen (r.).
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