Hundezucht / Nationalsozialismus

Die im 19. Jh. aufkommende Idee der Reinzucht von Hunden zeigte unschöne Anklänge an sozialdarwinistische Ideen. Daraus eine systemische Nähe zu völkischem Gedankengut abzuleiten, wäre aber eine historische Überzeichnung.

Inserateseite in einer Hundefachzeitschrift.
Inserateseite in einer Hundefachzeitschrift.

Erik Zimen verweist in seinem Buch »der Hund« auf einen beklemmenden Zusammenhang zwischen völkischem Gedankengut und der Entwicklung gewisser Hunderassen, insbesondere dem deutschen Schäferhund. (vgl. Zimen 2010 S. 191 ff) Es ist ohne Zweifel eine Frage, der man sich stellen muss. 1871 wurde das deutsche Kaiserreich gegründet und suchte nach passenden nationalen Symbolen. Tiere gehörten durchaus zum Inventar. Deutsche Hunde sollten entsprechend den imperialen Ambitionen groß und stark sein. Exemplarisch nahm Reichsgründer Otto von Bismarck diese Symbolik auf. Er besaß deutsche Doggen, die damals sogar unter dem Begriff »Reichshunde« bekannt wurden. Generalfeldmarschall Hindenburg sowie sein Stellvertreter und Generalquartiermeister Ludendorff, die maßgeblichen Einfluss auf die deutsche Kriegsführung im 1. Weltkrieg hatten, waren beide Halter von deutschen Schäferhunden.

Jetzt muss man sich einmal den geistesgeschichtlichen Rahmen jener Zeit ab der Mitte des 19. Jahrhunderts vergegenwärtigen. Der Sozialdarwinismus übertrug die Idee vom Überleben des anpassungsfähigeren Individuums in der Evolution kurzerhand auf die Ebene ganzer Gesellschaften nach der Formel: So wie das stärkere Individuum in der Evolution sich durchsetzt, so gebührt der stärkeren Nation ein Sonnenplatz in der Geschichte, den sie notfalls mit Gewalt einfordern soll. Die Eugenik, um eine andere Schule zu nennen, wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus populär. Sie übersetzte die Erkenntnisse der Vererbungslehre in die Bevölkerungspolitik und wurde später von den Nationalsozialisten zum Konzept der Rassehygiene zugespitzt. Solcherlei Ideen begünstigten zunächst einen expansiven Nationalismus und endeten später in den Abgründen der Nazi-Ideologie.

Genau in diesem geistigen Umfeld entwickelte sich nun die moderne, institutionalisierte Rassehunde-Zucht. Ab zirka 1850 entstanden Vereine, Verbände, Ausstellungen, Zuchtkonzepte, die sich der Reinzucht von Rassehunden verschrieben. Es war eine neue Bewegung, die natürlich ein Kind ihrer Zeit war. Man muss sich dazu eines vor Augen halten: Noch nie in der weit über 10’000-jährigen Geschichte von Hund und Mensch wurden Rassen so genau definiert. Es mag schon immer gewisse Typen gegeben haben. Neu war indessen, dass eine Rasse einem Ideal zu entsprechen hatte, das auf den Zentimeter genau ausgemessen wurde, wobei noch das kleinste Detail im so genannten Standard schriftlich fixiert war. Noch nie zuvor wurde die Zuchtselektion so rigide betrieben. Die Angehörigen einer Hunderasse lebten fortan in totaler sexueller Isolation. Sie durften sich also nur noch mit ihresgleichen verpaaren, womit ein System etabliert wurde, in dem Inzucht zum inhärenten Problem werden musste. Dies wurde aber in Kauf genommen, damit sich ja keine Exemplare verschiedener Rassen mischten und dabei produzierten, was als minderwertig betrachtet wurde, nämlich ein Bastard. Präzise Definition von Rassen. Strenge Abgrenzung. Der starke Glaube, das Leben willentlich durch Zuchtselektion modellieren zu können. Das alles zeichnete die Bewegung der Rassehundezucht aus. Und all das entstand natürlich vor dem geistigen Hintergrund des 19. Jahrhunderts mit all seinen Verirrungen.

In Deutschland wollte man im Fluge dieses Zeitgeistes einen wahrhaft heldenhaften, echt teutonischen Rassehund von Grund auf neu konzipieren. In Züchterkreisen begann man bereits 1932 den sogenannten Kurmärker vorzustellen, auch bildlich mit Skizzen, „eine werdende deutsche Rasse“, wie am 15. Januar 1932 die Zeitschrift „der Hund“ voller Enthusiasmus titelte. Es sollte sich beim Kurmärker durchaus um einen kampftüchtigen Dienst- und vielleicht auch Kriegshund handeln. Allerdings sieht man in obigem Zeitschriftenbeitrag auch, dass es eben nicht ein rein deutsches Phänomen war, im Gegenteil orientierte man sich ausdrücklich an England, wie es hiess: „In England, dem klassischen Lande der Züchterkunst, ist es selbstverständlich, dass von Zeit zu Zeit eine neue Hunderasse herausgebracht wird.“

Der Kurmärker blieb allerdings eines unter vielen niemals verwirklichten Projekten in dieser unheilvollen Zeit (und wahrscheinlich war das auch gut so…). Die deutsche Hundezucht musste sich sozusagen mit dem historisch gewachsenen Hundematerial begnügen und dieses weiter entwickeln. Dabei wurde keine andere Hunderasse von völkischen-nationalistischen Ideen so sehr vereinnahmt wie der deutsche Schäferhund. Max von Stephanitz hat die moderne Schäferhundezucht Ende des 19. Jahrhunderts begründet. Dabei war er nicht nur ein begnadeter Züchter, sondern auch ein glühender Nationalist. Sein Hauptwerk der Deutsche Schäferhund in Wort und Bild atmet unverkennbar den Dunst jener Zeit. Schauen wir uns einige Passagen an.

Die Beschränkung der Welpenzahl und die Aussortierung der Schwachen war ein anerkanntes Zuchtprinzip der damaligen Zeit. Stephanitz postulierte das Prinzip mit expliziter Härte. Vergleichen wir dazu zwei Aussagen und ihre Tonlage.

Spephanitz schrieb: »Bei der Auswahl der zu entfernenden Welpen gilt es zunächst nur Schwächlinge und solche Welpen auszuscheiden, die etwa Missbildungen ausweisen. (...) Der zum Tode geweihten Überzähligen entledigt man sich am einfachsten, indem man sie von der Höhe des ausgestreckten Armes kräftig auf einen Steinboden oder eine Wand wirft.« (Stephanitz 1921, S. 433)

Der Schweizer Hauptmann im Generalstab Adrien Berdez schrieb 1903: »Es ist nicht ratsam, einer Hündin mehr als fünf Junge zu belassen, sind deren mehr, so werden die schwächlichsten und die, die bereits Fehler zeigen, beseitigt und zwar in Abwesenheit der Mutter.« (Berdez 1903, Kapitel IV, Abschnitt 4)

Wenngleich die Kernaussage beider Statements die gleiche ist, so formulierte es Stephanitz doch mit weit größerer Härte. Und wir schaudern noch mehr beim Gedanken daran, dass er der Meinung war, die Prinzipien der Hundezucht seien auch beim Menschen mit Vorteil anzuwenden. Wie er schrieb: »Wir können unsere Schäferhundezucht recht wohl mit der menschlichen Gesellschaft vergleichen. Unsere hochgezüchteten Stämme entsprechen etwa den oberen Zehntausend, nicht denen des Geldbeutels – die sind Drohnen, Luxushunde –, sondern denen des Geistes, des Schwertes, der Arbeit. Sie sollen vorbildlich wirken, zur Nachahmung aneifern, für Hebung des Durchschnittsstandes sorgen. Im Gegensatz dazu haben wir auch ein Schäferhunde-Proletariat, nicht so wie das Wort im klassenhetzerischen Sinne heute gebraucht wird. Dazu rechnet man alles Krankhafte, Ungesunde, die, denen der Ansporn fehlt, aus eigener Kraft zu steigen, dann die durch Zucht, Aufzucht und Haltung körperlich und seelisch verkommenen, die ver- und überzüchteten, die Zwingerhunde. Die alle erhalten, heben zu wollen, wäre verlorene Liebesmühe. Es ist Rasseabfall, selbst als Zuchtdünger nicht mehr verwertbar. (...) Bei der Menschenzucht achten wir leider viel zu wenig oder gar nicht auf all die Dinge, die von Einfluss auf das Erzeugen guter, gesunder und brauchbarer Nachkommenschaft sind.« (Stephanitz 1921, S. 391)

Stephanitz sah die Institutionen der Hundezucht ganz im Dienste des Aufbaus einer reinen, starken, gesunden Rasse. Allerdings dürfe man Hunde nicht für den Markt produzieren, meinte er mit einer Skepsis gegenüber marktwirtschaftlichen Regulierungsmechanismen, die auch den Nazis eigen war. Schäferhundezucht sei immer Gebrauchshundezucht, aber auch immer Liebhaberzucht. »Der Liebhaber erstrebt mit seiner Zucht auch keine greifbaren äußeren Vorteile. Er lässt sich daran genügen, dass der Umgang mit edlen, formschönen und begabten Geschöpfen, die Beobachtung ihrer Lebensäußerungen und der bei der Zucht sich bemerkbar machenden Erscheinungen ihm eine Reihe reiner Freuden und Genüsse bietet und ihn tiefer in das Geheimnis der Natur eindringen lässt.« (Stephanitz 1921, S. 389) Der Aufbau dieser neuen Schäferhunderasse, mit missionarischem Eifer betrieben, erschien als ein Projekt mit fast metaphysischer Strahlkraft.

Die Analogien mit dem Kerngut nationalsozialistischer Gedankenverirrung stechen ins Auge. »Wer den Nationalsozialismus nur als politische Bewegung versteht, so hat Hitler geäußert, weiß fast nichts von ihm. Er ist mehr noch als Religion: er ist Wille zur neuen Menschenschöpfung. Zu den brennendsten Aufgaben des neuen Staates gehöre es daher, der weiteren Bastardisierung Einhalt zu gebieten, die Ehe aus dem Niveau einer dauernden Rassenschande herauszuheben und ihr wieder zu ermöglichen, Ebenbilder des Herren zu zeugen und nicht Missgeburten zwischen Mensch und Affe. Den Idealzustand, in dem der durch Verdrängungskreuzungen zurückgezüchtete reine arische Typus wieder vorherrschte, hat Hitler als das Ergebnis eines langwierigen biologischen und pädagogischen Prozesses angesehen.« (Fest S. 305 - 306)

Ohne Zweifel: Aus der ganzen Terminologie, der sich Stephanitz bediente, vernimmt man Anklänge eines abscheulichen Jargons, den später auch die Nazis pflegen sollten. Wichtig trotzdem: Es soll mit all dem nicht gesagt sein, Rassehundezucht leide an einer systemischen Nähe zu nationalsozialistischem oder rassistischem Gedankengut. Die mitunter schockierenden Analogien zeigen indessen deutlich, dass die aufkommende Bewegung der Reinzucht aus einem geistigen Fundus schöpfte, an dem sich auch die Nazis delektierten. Der Rassehundezucht und dem Rassismus verschiedener Ausprägungen liegt gemeinsam zugrunde, dass sie einen statischen, geradezu sterilen, auf jeden Fall immer fragwürdigen Begriff von Reinheit und damit Exklusivität definieren, der es erlaubt, einen gewissen Kreis von Lebewesen über alle anderen oder zumindest neben alle anderen zu stellen und damit ein Selbstverständnis zu begründen nach der Formel: Wir in Abgrenzung zu den anderen.

Auch in organisatorischer Hinsicht zeigte sich die Nähe der Züchterkreise zu nationalen und später nationalsozialistischen Strömungen. Mit der Machtergreifung der Nazis wurden die Hundevereine (wie alle Freizeitvereine) schrittweise gleichgeschaltet und konsequent ans NS-Regime angebunden. Die bisher verzettelten Hundeverbände wurden bereits 1933 im Reichsverband für das deutsche Hundewesen vereinheitlicht. Einher ging die Vereinheitlichung der knyologischen Presse. Die Zeitschrift „Der Hund“ wurde (allerdings erst 1943, zuvor gab es noch ein paar andere kynologische Zeitschriften) zum zentralen und einzigen Organ des neuen Einheitsverbandes. Pathetisch hiess es in der Ausgabe vom 30. November 1933: „Die alte Form unseres Sports ist zerbrochen. Der Sturm der nationalen Erhebung hat sie, die jahrzehntelang allen Versuchen einer Erneuerung widerstanden hatte, hinweggefegt. Eine neue, von allen wirklichen und gefühlsmäßigen Bedenken freie Grundlage zu einer neuen Form ist geschaffen worden, die keine andere sein konnte als die dem Staatsgedanken entsprechende.“

Von nun an bestimmte die Nazi-Führung den Rahmen des Vereinslebens. Der Reichsverband für das Deutsche Hundewesen (RDH) wurde im Zuge der Kriegsvorbereitungen zu einem selbständigen Verband aufgewertet und in die Zuständigkeit des Oberkommandos des Heeres eingeteilt. 1941 wurde der Verband der Aufsicht der SS unterstellt. Ohne jede Zweideutigkeit hiess es nun im Kopf der Einheitszeitschrift „Der Hund“: „Im Auftrage des Reichsführers SS, Beauftragter für das Diensthundewesen.“ Präsident des Verbandes wurde der schon damals berühmte Kynologe Franz Müller, der während des 1. Weltkrieges zusammen mit dem legendären Konrad Most vor allem Nachrichtenhunde rekrutierte und ausbildete. In der SS machte Müller eine steile Karriere. Zunächst stand er im Range eines SS-Standartenführers, stieg dann zum Oberführer auf und wurde an Weihnachten 1944 sogar zum SS-Brigadeführer befördert, was in der Wehrmacht einem Generalmajor entsprach, woran man erkannt, wie gut integriert Müller in der SS war.

Allerdings dürfen wir uns die Willigkeit der Hundefreunde, sich in den NS-Staat zu integrieren, nicht allzu stereotyp vorstellen, sogar im Gegenteil: Akademiker, Medienschaffende und Vertreter der Kirche, von denen man Bildung und kritische Distanz erhofft hätte, dienten sich irritierend rasch und unterwürfig der Hitler-Ideologie an. Bei den eher bodenständigen Hundevereinen hingegen nimmt man durchaus eine gewisse Widerständigkeit wahr. Die Delegierten Commission (DC) und der Schäferhunde-Verein waren schon vor 1933 bestens etablierte kynologische Organe… und die liessen sich nicht gerne unter die Knute des Reichsverbandes nehmen. So bissig war ihre Widerborstigkeit, dass 1935 die GESTAPO einschritt und die beiden Vereine kurzerhand auflöste, verbot, alle Unterlagen wurden beschlagnahmt. (vgl. dazu Meier S. 31)

Waren vor dem Krieg noch Aspekte wie Geselligkeit oder die Pflege der Volksgemeinschaft wichtige Elemente des Vereinslebens, so stand spätestens seit Kriegsbeginn 1939 die so genannte Wehrhaftmachung im Vordergrund. Anders gesagt: Die Vereine – und damit die Hundevereine – hatten im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Kriegsanstrengungen des Regimes materiell und ideell zu unterstützten. Was das für Hundeklubs bedeutete, war klar: Sie hatten Hunde für den Kriegsdienst bereitzustellen. Wenngleich die SS selbst Zuchtprogramme organisierte, so stammte die große Masse der Hunde, die in den Wehrdienst abgegeben wurden, doch von privaten Züchtern, die ihrerseits oft in den Vereinen organisiert waren. Da ab 1939 Männer zu Tausenden in den Dienst eingezogen wurden, herrschte in den Rängen des Hundewesens überdies bald personeller Notstand. Nun sollten die Frauen ran, um die Arbeit der Hundevereine weiterhin aufrechtzuerhalten. Die Abrichtung der Hunde dürfe ebenso wenig wie die Zucht unterbrochen werden, denn der gute Gebrauchshund sei ein dringendes Bedürfnis, dringender denn je, hieß es in einer Mitteilung in der Zeitung der Fachschaft für Deutsche Schäferhunde von 1939. Außerdem wurden rassisch wertvolle Zuchthunde von der zuständigen Wehrmachtsstelle vom Militärdienst freigestellt. (vgl. Borggräfe 2013)

Ein spannendes kynologisches Detail am Rande ist das Schicksal der weißen deutschen Schäferhunde. Bis 1933 waren in Würfen deutscher Schäferhunde weiße Welpen üblich und akzeptiert. Im 1. Weltkrieg waren bestimmt mehrere tausend Schäferhunde als Nachrichtenhunde im Einsatz. Doch weiße Exemplare waren dazu nicht geeignet. Sie hätten ein einfaches Ziel abgegeben für gegnerische Schützen und wären leicht abgeschossen worden. Kurzum: Weiße Schäferhunde waren nicht diensttauglich. Die Vorbehalte gegen weiße Schäferhunde-Welpen wurden nach dem 1. Weltkrieg immer größer. Ob dies nur mit der Militäruntauglichkeit zu tun hatte oder ob noch tiefer liegende Gründe im Bereich einer psychologischen Symbolik mitspielten, sei dahingestellt. Auf jeden Fall: Ab 1933 waren im Rassestandard des deutschen Schäferhundes weiße Welpen nicht mehr erwünscht. Sie wurden systematisch aus der Zucht eliminiert. Seither und bis heute fallen in den Würfen deutscher Schäferhunde keine weißen Welpen mehr an. Doch die weißen Exemplare haben dennoch überlebt. Vor allem in Nordamerika waren weiße Welpen nach wie vor akzeptiert. Der Weiße Schäferhund wurde sodann zu einer eigenständigen Rasse aufgewertet (nota bene unter Schweizer Patronat). Und während die deutschen Schäferhunde heutzutage aufgrund einer engstirnigen Zucht als Diensthunde immer weniger zu gebrauchen sind, erfreut sich der Weiße Schäferhund einer ungeahnten Dynamik und ist irgendwie sogar der ursprünglichere Schäferhund.

Nicht nur die Nazi-Ideologie als Ganzes, sondern auch ihr Führer persönlich hatte eine durchaus reichhaltige Beziehung zu Hunden. Adolf Hitler freundete sich schon in seiner Zeit als Gefreiter im 1. Weltkrieg mit einem Hund namens Foxl im Bayrischen Reserve-Infanterie-Regiment 16 an, den man auf Bildern unschwer als Terrier erkennt. Ohne Umschweife beschrieb Hitler noch Jahre später in seinen Monologen sein inniges Verhältnis zu diesem kleinen Hund:

„Ich habe alles mit ihm geteilt, abends hat er bei mir geschlafen. Ach, dass sie mir den geklaut haben! (...) Er war ein richtiger Zirkushund. Alle denkbaren Kunststücke hat er gemacht. Vor Kolmar kam der Eisenbahner noch einmal und hat mir zweihundert Mark geboten. Und wenn sie mir zweihunderttausend geben, Sie kriegen ihn nicht! Wir treten in Harpsheim an, auf einmal fehlt der Hund. (...) Dieser Schweinehund, der ihn mir genommen hat, weiß gar nicht, was er mir angetan hat.“

(Obiger Monolog hielt Hitler in der Nacht vom 22. auf den 23. Januar 1942 im Führerhauptquartier in der Wolfsschanze. Eine Serie solcher Monologe wurden auf Anregung Martin Bormanns von dessen Adjutanten Heinrich Heim zwischen 1941 und 1944 aufgezeichnet. Vgl. Jochmann Hsg. S. 219 - 220)

In den 1930-er Jahren hielt er einen schwarzen Hund namens Muck. Wir wundern uns nicht, dass es sich um einen deutschen Schäferhund handelte. Als Muck starb, wollte Hitler zunächst keinen neuen Hund anschaffen. Doch dann wurde ihm 1934 eine Hündin geschenkt. Es war wieder ein deutscher Schäferhund. Ihr aus heutiger Perspektive dümmlicher Name ging in die Geschichte ein. Es war Blondi. Zu Lebzeiten wusste die nationalsozialistische Propaganda die Hündin gezielt zu inszenieren. Viele Bilder zeigen sie mit Hitler. Ziel war es, den sonst strengen und überhöhten Führer als fassbar darzustellen, mit einer erkennbar menschlichen Seite.

Mehr als die Öffentlichkeit wohl ahnen konnte, war Blondi eine Referenzgröße in Hitlers Seelenleben. Die Zuwendung zur Hündin wurde je enger, je schlechter der Zustand des Reiches sich präsentierte, je wackeliger dadurch Hitlers Psyche und Gesundheit wurde. Nach dem zweiten Kriegswinter verdichteten sich die Rückschläge an der Ostfront zu einem nicht mehr aufhaltbaren Untergangsszenario. Hitler zog sich innerlich immer mehr zurück, verfiel in Lethargie, Depressionen. Ein geistiger wie körperlichen Zerfall setzte ein. In der Öffentlichkeit trat er nur noch selten auf. Er zog sich mehr und mehr zurück, verweilte alleine. »Auch die Mahlzeiten nahm er künftig allein zu sich, lediglich sein Schäferhund leistete ihm Gesellschaft, selten bat er Besucher hinzu.« (Fest 1973, S. 904.) Mit dem immer unglücklicheren Kriegsverlauf steigerte sich Hitler in ein immer tieferes Misstrauen gegenüber dem höchsten Offizierskorps. »Die Isolierung, in die Hitler sich seit dem Zerwürfnis mit der Generalität begeben hatte, nahm nach Stalingrad weiter zu. Oft saß er brütend, in tiefe Depressionen versunken, herum oder machte, den Blick nach innen gerichtet, an der Seite seines Schäferhundes, einige ziellose Schritte durch das Gelände des Hauptquartiers.« (Fest 1973, S. 913)

Traudl Junge, im Jahre 1943 von Hitler als Sekretärin eingestellt, schildert in ihren Erinnerungen ebenfalls verschiedene Episoden mit Blondi. Offensichtlich schien die Hündin fest in die Abläufe in Hitlers Stab einbezogen gewesen zu sein. Zuständig für sie war Feldwebel Tornow, der vom übrigen Personal spaßeshalber Reichshundeführer genannt wurde. Hitler kümmerte sich auch persönlich um die Hundebetreuung. Er unternahm Spaziergänge, lernte Blondi Tricks und Fertigkeiten. Dabei konnte es sogar recht spaßig werden. An einer Stelle beschreibt Junge einen der langen Kaminabende auf dem Obersalzberg: »Es war wie sonst. Hitler sprach ausführlich über seinen Liebling Blondi. Sie durfte an der Gesellschaft teilnehmen, und ich als Hundeliebhaberin war wirklich begeistert von ihrer Klugheit. Hitler machte allerlei Spielchen mit ihr. Sie musste Männchen machen und Schulmädchen, dabei saß sie auf den Hinterbeinen und legte beide Pfoten auf die Lehne von Hitlers Stuhl, wie ein artiges Schulkind. Ihre Glanzleistung war ihr Gesang. Hitler bat sie mit seiner freundlichsten und schmeichlerischsten Stimme ‘Blondi sing!’ und stimmte selbst ein lang gezogenes Geheul an. Sie fiel in hohen Tönen ein, und je mehr Hitler sie lobte, desto intensiver wurde ihr Gesang. (...) Jeden Abend bekam sie drei kleine Kuchenstückchen, und wenn Hitler drei Finger seiner Hand hochhob, wusste sie sofort, dass sie jetzt ihre abendlichen Leckerbissen empfangen würde.« (Junge 2002, S. 105)

Wie eng der Kontakt zwischen Hitler und Blondi in der Tat gewesen war, entnimmt man einer anderen, durchaus irritierenden Passage in Junges Aufzeichnungen. Nach Stauffenbergs gescheitertem Attentat vom 20. Juli 1944 verschlechterte sich Hitlers Gesundheit rapide. Nun musste er, der sonst nie krank war, sogar einige Tage in seinem spartanisch eingerichteten Zimmer in der Wolfsschanze ausharren. Junge hat ihn am Krankenbett besucht. »Der kleine Bunkerraum war recht schäbig möbliert. Eben wie eine Soldatenunterkunft in einer Kaserne. Außerdem hatte Hitler noch eine riesige Holzkiste im Zimmer, die für Blondi und ihre Familie bestimmt war.« (Junge 2002, S. 160) Hitler ließ also seine Hündin nicht im Zwinger, nicht im Flur, nicht in einer Hundehütte schlafen, sondern unmittelbar neben seinem Bett.

Als Hitler ganz am Schluss mit seiner Entourage im Führerbunker Quartier bezog, war Blondi selbstverständlich dabei. Sie hatte erst im März einen Wurf, ein lange gehegter Wunsch Hitlers. So zogen also auch die Welpen in die Unterwelt des Bunkers ein. Die Russen waren unterdessen schon tief in das Berliner Stadtgebiet vorgedrungen. Das Ende des 3. Reiches war nur mehr eine Frage von Tagen. Tief unter der Erde im Führerbunker fand eine der letzten Lagebesprechungen statt. Nochmals sollten alle Ressourcen mobilisiert werden zu einem Gegenschlag. Doch das waren nur noch Hirngespinste eines kleinen Zirkels um Hitler, der jeden Bezug zur Realität längst verloren hatte. Nach der Besprechung verließen die Offiziere mit roten Köpfen den Konferenzraum. Junge schildert eine wiederum irritierende Szene: »Wieder hieß es warten. Auch Hitler konnte nichts anderes mehr tun. Er schlich zu seinen Hunden, die jetzt in einem Abteil der Toilette untergebracht waren. Dann saß er mit dem kleinen Welpen auf dem Schoss schweigend auf der kleinen Bank im Korridor und beobachtete die ein- und ausgehenden Menschen.« (Junge 2002, S. 181) Ähnliches liest man in der berühmten Hitler-Biographie von Joachim Fest: »Häufig fiel er [Hitler] in jenes dumpfe Brüten zurück, das für die frühen Formationsjahre so kennzeichnend gewesen war; gedankenabwesend saß er auf seinem Sofa, einen Rüden aus dem jüngsten Wurf Blondis auf dem Schoss, den er Wolf nannte und selber dressierte. Erst mit der Beteuerung eigener Unschuld und dem Vorwurf unverdienter Treulosigkeit holte er sich in die Wirklichkeit zurück.« (Fest 1973, S. 993) Die Szene irritiert, ohne dass man offensichtlich wüsste, weshalb. Ist es womöglich, weil sie dazu verleitet, ein Gefühl wie Mitleid zu provozieren? Mitleid mit Hitler. Darf man das überhaupt? Einer der unsäglichsten Menschen, dessen Lebenswerk fast nur aus Hass und Zerstörung bestand, sieht sein eigenes Versagen und sein eigenes Ende unverrückbar vor Augen – und nimmt emotionale Zuflucht bei einem Welpen, dessen bedingungslose Hinwendung selbst in dieser Situation und selbst gegenüber diesem Menschen niemals in Frage steht.

Die auch im Alltag wohl bekannte Abwendung enttäuschter Menschen von ihren Mitmenschen und die kompensatorische Hinwendung zu Hunden zeigte sich bei Hitler je deutlicher, je auswegloser seine Situation wurde. »Der Raum um ihn wurde zusehends leerer. Solange Hitler im Hauptquartier bleibe, äußerte Goebbels, stehe ihm seine Hündin Blondi näher als irgendein menschliches Wesen.« (Fest 1973, S. 917) Im Führerbunker hing über Hitlers Schreibtisch ein Bild von Friedrich dem Großen, zu dem er von Zeit zu Zeit aufschaute, während er dessen Ausspruch wiederholte: Seit ich Menschen kenne, liebe ich die Hunde. (gem. Albert Zoller in Fest 1973, S. 1’149) Es waren letzte Verzweiflungsakte eines eigenbrötlerischen Wesens, das den Zugang zu den Menschen zeitlebens nie recht fand und sich am Ende, von allen enttäuscht und von niemandem verstanden, ganz alleine auf sich selbst zurückgeworfen sah, in seiner Einsamkeit nur begleitet von einem treuen Hund.

Bekanntlich inszenierte Hitler sein eigenes Ableben als apokalyptischen Untergang eines ganzen Kontinents. Es entsprach der ganzen Stoßrichtung dieses unseligen Lebens, dass es selbst die letzten Wesen, die ihm treu ergeben waren, mit in den Tod riss. Das Ende von Blondi kam vermutlich am 28. April 1945. An diesem Tag erfuhr Hitler, dass Heinrich Himmler (der Chef der SS und sein, wie er meinte, ergebenster Getreuer) Geheimverhandlungen mit den Alliierten angestrebt hatte. Nun vertraute er auch den Giftampullen nicht mehr, mit denen er seinen eigenen Selbstmord fest eingeplant hatte. Denn das Gift erhielt er von Himmler. Hitler verlebte seine letzten Tage in einer obsessiven Angst, lebendig in die Hände der Russen zu fallen. So getrieben ließ er das Gift an seiner geliebten Blondi testen, womöglich zusätzlich am Welpen Wolf, in dessen Körper Spuren des Giftes gefunden wurden, wie die Obduktion durch die Rote Armee später ergab. Junge beschreibt die allerletzte Szene im Leben der Hündin so: »Deshalb wurde Professor Haase aus dem Operationsbunker in der Neuen Reichskanzlei herübergeholt. Wir sahen, wie der Führer mit ihm sprach, ihm eine der Giftampullen gab und dann mit ihm in den kleinen Vorplatz bei den Toiletten ging, wo Blondi mit ihren Jungen untergebracht war. Der Arzt beugte sich über den Hund, eine kleine Welle von bittersüßem Mandelgeruch schlug uns entgegen, dann regte sich Blondi nicht mehr. Hitler kam zurück. Sein Gesicht sah aus wie seine eigene Totenmaske. Wortlos schloss er sich in sein Zimmer ein. Himmlers Gift war zuverlässig!« (Junge 2002, S. 200)

Am 30. April 1945 beging Hitler Selbstmord. Die genauen Umstände waren nicht mehr zu klären. Wahrscheinlich nahm er das Gift, das auch Blondi tötete, und hat sich zusätzlich erschossen. Die Leiche verbrannte man mit Benzin und verscharrte die verkohlten Überreste in einem Trichter vor der Reichskanzlei. Am 2. Mai erreichten Soldaten des 79. Schützenkorps / 3. Stossarmee / 1. Weißrussische Front das Gelände. Zunächst barg man die Leichen der Goebbels-Familie. Die sterblichen Überreste von Hitler und Eva Braun wurden am 4. Mai entdeckt, jedoch erst einen Tag später, also am 5. Mai, geborgen. Als man die Leichen aus dem Trichter zog, kamen auch zwei Hundekörper zum Vorschein, ein großer Schäferhund (mit Sicherheit Blondi) und ein kleiner Hund schwarzer Farbe (vermutlich Hitlers Lieblingswelpe Wolf). Die Obduktion durch die Rote Armee zeigte, dass beide Hunde vergiftet wurden. Dem kleinen Hund wurde zusätzlich in den Kopf geschossen. Wo die anderen Welpen aus Blondis Wurf verblieben und wie sie gestorben sind, ließ sich nicht mehr eindeutig klären. Otto Günsche, der Adjudant von Hitler, berichtete gegenüber der Untersuchungskommission der Roten Armee von einem dramatischen Ende. Tornow, der Hundewärter, hat völlig betrunken im Bunker herumgeschrieen, der Führer sei tot, rette sich wer könne. Eine Panik brach aus. Sodann hat sich herausgestellt, dass Tornow zuvor alle Welpen, die Hunde von Eva Braun, den Hund der Sekretärin Gerda Christian und auch seinen eigenen Hund erschossen hatte. (vgl. Die Zeit Nr. 31, 2.8.1968)


Quellen

Berdez, Adrien: Anleitung zur Dressur und Verwendung des Sanitätshundes. Bern 1903

Borggräfe, Henning: Zwischen Ausblendung und Aufarbeitung. Auf: www.zeitgeschichte-online.de, 2013

Fest, Joachim C.: Hitler. Frankfurt M. 1973

Jochmann, Werner (Hsg.): Adolf Hitler. Monologe im Führer-Hauptquartier 1941 - 1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims. München 1982

Junge, Traudel: Bis zur letzten Stunde. München 2002

Meier, Karl: Das ganz andere Hunde-Buch, Zusammenstellung aus der Kynologischen Sammlung, Ansbach

Stephanitz, Max von: Der Deutsche Schäferhund in Wort und Bild. Jena 1921

Zimen, Erik: Der Hund. München 2010


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